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Tier- und Naturschutz Hamburg-Rahlstedt e.V.

Gemeinnütziger Verein zur Förderung des Tierschutzes

 
 
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Der Autor ist Biologe und Insektenberater E-Mail : ehbaur@web.de

Eberhard Baur hat jahrelange Erfahrung im Umgang mit staatenbildenden Insekten. Er berät telefonisch und führt Begutachtungen vor Ort und im Bedarfsfall Umsiedlungen oder andere Schutzmaßnahmen durch. Wenn Völker beseitigt werden müssen, bei denen eine Umsiedlung unmöglich ist, verweist er auf die Fachleute aus dem Bereich der Schädlingsbekämpfer.

Insekten: Wespen, Hornissen, Hummeln und Bienen von Eberhard Baur

Teil I: Biologie und Lebensweise, Teil A
Wespe oder Biene?

Der Praktiker weiß, dass die Angaben von Anrufern oft sehr wenig verlässlich sind. Er wird durch gezielte Nachfragen zu klären versuchen, um welche Tiergruppe es sich vermutlich tatsächlich handelt. Wespen sind durch ihre schwarzgelbe Zeichnung erkennbar. Die Tiere sind relativ schlank und spärlich behaart. Dagegen weisen Hummeln eine gedrungene Form auf, sind meist größer und in jedem Fall pelzig behaart. Die verschiedenen Arten sind auf recht unterschiedliche Weise gefärbt, wobei die Grundfarbe oft schwarz ist. Die Honigbienen sind bräunlich und liegen bezüglich Körperform und Behaarung zwischen den beiden genannten Gruppen.

Evolution von Insektenstaaten

Bei den Insekten haben sich manche Arten im Laufe der Evolution zu strukturierten sozialen Verbänden, den Insektenstaaten, entwickelt. Die Staatenbildung bei Insekten stellt eine komplexe Form des sozialen Zusammenlebens dar. Sie ist aus Brutpflegeverhalten entstanden. Solche höherentwickelten Sozialformen haben sich mehrere Male unabhängig voneinander (polyphyletisch) herausgebildet. Die Bedeutung der Staatenbildung liegt in der Arbeitsteilung. Sie ist mit mehr oder weniger ausgeprägter Kastenbildung (Polymorphismus) verbunden. Im einfachsten Fall ist dies der Unterschied zwischen Königin, Arbeiterinnen und Drohnen, aber es können auch, wie bei manchen Ameisen und Termiten, viele verschiedene Indivi­dualtypen in einem Staat vorhanden sein. Durch diese Spezialisierungen werden Höchstleistungen möglich.

Einsommerige oder mehrjährige Völker

Insektenstaaten können sehr verschieden sein. Die sozialen Insekten lassen sich nach ihren Lebensläufen im wesentlichen in zwei Gruppen einteilen. Das sind einerseits die Arten, deren Völker über viele Jahre hinweg existieren, andererseits die Arten, deren Völker nur eine Saison überdauern und in jedem Frühjahr neu gegründet werden müssen. Zu der Gruppe mit mehrjährigen Völkern gehören die Honigbienen, die Ameisen und die Termiten. Zu der anderen Gruppe mit den einsommerigen Arten gehören alle bei uns vorkommenden staatenbildenden Wespen incl. Hornissen sowie die Hummeln.

Nestgründungsvarianten

Eine Reihe der sozialen Arten durchlaufen bei der Nestgründung eine solitäre Phase. In diesen Fällen findet eine unabhängige Koloniegründung statt, d.h. die einzelne Königin ist im Besitz aller Fähigkeiten, die sie zur Nestgründung braucht. Insbesondere kann sie die Gründungsphase ohne Hilfe von Arbeiterinnen bewältigen. Dies betrifft die meisten Hummeln, Wespen und etliche Ameisenarten. Bei anderen Arten findet eine sozialparasitische Nestgründung (z. B. Kuckuckshummeln, Kuckucks-- wespen) statt. Hierbei dringt eine Jung-Königin in das Nest einer anderen relativ nahe verwandten Art (Wirtsart) ein und dominiert dieses Volk dann, indem sie die eigene Brut durch die Wirtsarbeiterinnen aufziehen lässt. Eine dritte, ebenfalls nicht seltene Möglichkeit ist die Vermehrung der Völker durch Ablegerbildung. Diesen Mechanismus finden wir bei der Honigbiene (Apis mellifera) mit ihrer Schwarmbildung und bei vielen Ameisenarten. Ablegerbildung ist normalerweise mit Polygynie (mehrere Königinnen in einem Volk) verknüpft; bei den Honigbienen hat sich allerdings ein anderer Mechanismus entwickelt.

Lebensablauf einsommeriger Völker

Bei allen sozialen Wespen und den Hummeln vollzieht sich die Volksentwicklung grundsätzlich in der gleichen Weise. Im Frühling kommen die im Vorjahr geschlüpften Königinnen aus ihren Winterquartieren. Jede Königin beginnt allein mit der Gründung eines Nestes (unabhängige Nestgründung). Nachdem sie einen geeigneten Nistort ausgekundschaftet hat, beginnt sie mit der Errichtung des Nestes. Dazu gehört der Bau von Zellen für die Eiablage. Dorthinein legt die Königin dann die Eier. Diese werden von ihr regelrecht bebrütet. Die sich daraus entwickelnden ersten Larven werden von der Königin mit Futter versorgt. Für die Futterbeschaffung muss sie regelmäßig ausfliegen. Dies ist mit einem nicht geringen Risiko verbunden (Fressfeinde ...). Parallel dazu erweitert sie das Nest und legt weitere Eier. In der Anfangsphase obliegt der Königin die Pflege der Eier und der heranwachsenden Larven (Brutpflege) allein. Schließlich, nach mehreren Häutungen und einer längeren Puppenruhe, schlüpfen die ersten Arbeiterinnen (sterile Hilfsweibchen). Damit geht die solitäre Phase der Volksentwicklung in die soziale Phase über. Jetzt setzt eine geregelte Arbeitsteilung ein. Die jungen Arbeiterinnen übernehmen nach und nach die Brutpflege im Nest sowie Außendienstarbeiten, wie das Futterholen. Die Königin fliegt immer seltener aus und verlässt das Nest schließlich gar nicht mehr. Ihre Hauptaufgabe besteht nun in der Eiproduktion. Das Volk wird allmählich immer größer, bis die wachsende Zahl der Arbeiterinnen eine optimale Versorgung ermöglicht. Sobald auf diese Weise der Höhepunkt der Volksentwicklung erreicht ist, werden Geschlechtstiere hervorgebracht: neue Jungköniginnen und Männchen (Drohnen). Die Drohnen entste­hen aus unbefruchteten Eiern. Die Geschlechtstiere fliegen aus, um Begattungs- partner zu finden. Nach der Begattung kehren die Jungköniginnen in vielen Fällen vorübergehend zum Nest zurück. Schließlich verlassen sie das Nest aber endgültig, um sich, jede einzeln, einen geschützten Unterschlupf für den Winter zu suchen. Damit beginnt die solitäre Phase des nächsten Entwicklungskreislaufes. Etwa zu dieser Zeit haben auch die letzten Arbeiterinnen und die Altkönigin das natürliche Ende ihres Lebens erreicht und sterben nach und nach. Das Nest ist dann verlassen und wird auch nicht wieder benutzt. Unter dem Einfluss von Feuchtigkeit zerfällt es relativ schnell. Sonst werden die Reste früher oder später von anderen Tieren verwertet.

Besonderheiten in der Biologie einzelner Gattungen und Arten

Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen wird auf den bei uns heimischen Wespen incl. Hornissen sowie den Hummeln liegen, wobei die übrigen sozialen Insekten an geeigneter Stelle zum Vergleich und zur Abgrenzung mit herangezogen werden.

Regulation des Nestklimas

Insektenstaaten können ihr Nestklima aktiv beeinflussen. Durch diese beachtliche Leistung werden sie in gewissem Maße von der Umwelt unabhängig. Die Einflussnahme auf die Temperatur erfolgt auf sehr unterschiedliche Weise. Bei Überhitzung können Nester durch Wassereintragen und Fächeln gekühlt werden. Umgekehrt kann eine Erhöhungen der Nesttemperatur insbesondere von Hummeln durch Aktivität der Flügelmuskulatur bewirkt werden. Dabei werden die Flügel ausgekoppelt, so dass sie sich nicht mitbewegen. Bei den Hügelbauten der Waldameisen wird die Temperatur im Bau durch Öffnen oder Schließen von Nesteingängen variiert. Die Luftfeuchtigkeit ist ein Faktor, der besonders für die Ameisenbrut von großer Bedeutung ist. Um in dieser Hinsicht optimale Bedingungen zu erreichen, nutzen die Ameisen eine besondere Strategie: sie transportieren ihre Larven immer an die Stellen im Nest, an denen jeweils die richtige Luftfeuchtigkeit gegeben ist.

Arbeitsteilung

In einem Insektenstaat sind viele Arbeiten zu koordinieren. Im Innenbereich sind Brutpflege, Säubern und Bauen zu erledigen, im Außendienst Futterbeschaffung, Wasserantransport, Verteidigung und bei vielen Arten auch Baumaterialbeschaffung. Die Arbeitsteilung zwischen den Arbeiterinnen ist bei Wespen incl. Hornissen sowie den Hummeln insgesamt sehr flexibel und nur wenig institutionalisiert. Bei den Hummeln kann man immerhin auf Grund des Größenpolymorphismus zwischen den Arbeiterinnen von einer gewissen Fixierung ausgehen. Bei den Honigbienen ist die Arbeitsteilung durch die Koppelung der Tätigkeiten ans Lebensalter relativ fest vorgegeben.

Kommunikation

Die koordinierte Zusammenarbeit der zahlreichen Individuen setzt gegenseitigen Informationsaustausch voraus. Im jedem Fall gilt dies innerhalb des Nestes. Hierzu werden in großem Umfang chemische Signalstoffe (Pheromone), aber z. B. auch Fühlertrillern eingesetzt. Demgegenüber wird luftübertragener Schall zur Verständigung offenbar so gut wie gar nicht genutzt, Körperschall (Vibrationen) scheint von größerer Bedeutung zu sein. Besonders ausgeklügelte Mechanismen sind erforderlich, um Nestgenossen die Lage und Ergiebigkeit von weiter entfernten Nahrungsquellen mitzuteilen. Ameisen verwenden auch hierfür Pheromone, z. B. auf ihren Ameisenstraßen. Honigbienen haben im Zusammenhang mit ihrer ausgeprägten Vorratswirtschaft ein außerordentlich gut funktionierendes Informationssystem (Bienentänze) auf einer erstaunlich hohen Abstraktionsstufe entwickelt. Bei Hummeln und Wespen sind keine vergleichbaren Fähigkeiten zu beobachten. Wenn man trotzdem viele Wespen z.B. auf einem Stück Kuchen findet, dann ist ein Nest nicht weit entfernt, so dass sich die Häufung der Tiere als Summe vieler einzelner Zufallsentdeckungen erklären lässt.

Überwinterung

Nach der Begattung im Spätsommer oder Herbst beginnt eine mehrmonatige Ruhephase (Diapause). Für diese Zeit suchen sich die Königinnen geschützte Orte. Hummeln graben sich in aller Regel ca. 10 cm tief in die Erde ein. Wespen verkriechen sich z. B. in eingerollten trockenen Blättern, Dachräumen oder hinter Baumrinde. Dort ruhen sie mit drastisch reduziertem Stoffwechsel in einer Art Winterstarre, bis die Nestgründungsphase eingeleitet wird. Auf diese Weise reicht der knappe Energievorrat für die lange Diapause. Während des Winters halten die Jungköniginnen Frosttemperaturen bis fast –20 Grad aus, sofern die Abkühlung allmählich erfolgt. Dies gelingt dadurch, dass sich in ihrem Körper eine Frostschutzsubstanz (Glycerin) bildet. Trotzdem gehen im Winter und auch bei der anschließenden Nestgründungsphase viele Königinnen zugrunde. Obwohl pro Muttervolk oft hundert und mehr Königinnen hervorgebracht werden, gelingt es, im Durchschnitt betrachtet, nur einer dieser Königinnen, ein neues Volk zu etablieren.

 

Seitenanfang

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 

 

Teil I: Biologie und Lebensweise, Teil A
Wespe oder Biene?

Evolution von Insektenstaaten
Einsommerige oder mehrjährige Völker
Nestgründungsvarianten
Lebensablauf einsommeriger Völker
Besonderheiten in der Biologie einzelner Gattungen und Arten
Regulation des Nestklimas
Arbeitsteilung
Kommunikation
Überwinterung

Teil II: Biologie und Lebensweise, Teil B

Die Wespen haben das Papier erfunden
Wespen sind kunstfertige Baumeister
Hellnister, Dunkelnister
Hummelnester sind ganz anders
Volksgröße und Lebensdauer der Völker
Zucker zum Fliegen und Heizen, Eiweiß für die Vermehrung
Vorräte nur für wenige Tage
Tag-Nacht-Aktivität
Ökologische Bedeutung

Teil III:

Verwandtschaft - Systematik – Bestimmung
Verwandtschaftliche Stellung der sozialen Insekten
Termiten sind keine Ameisen
Bestimmung - Möglichkeiten und Grenzen
Bestimmung am lebenden Tier: 'Tüten-Methode'
Wichtige morphologische Merkmale
Morphologie einzelner Gattungen und Arten
Feldwespen (Polistes)
Hornissen (Vespa crabro)
Kurzkopf oder Langkopf?
Kurzkopfwespen (Vespula)
Langkopfwespen (Dolichovespula)
Auch Wespennester liefern Bestimmungshinweise
Nester der Feldwespe
Hornissennester
Nestfärbung
Erdnester
Nester im Freien

Teil IV:

Bekämpfung oder Schutz?
Insektenansammlungen ohne Nest
Wespe ist nicht gleich Wespe
Hornissen sind besser als ihr Ruf
Hummeln sind meist friedlich
Naturschutzbestimmungen beachten!
So können Mensch und Tier zusammenleben
Schutzmaßnahmen als Dienstleistung
Umsiedlungen sind aufwendig
Betriebswirtschaftliche Aspekte zur Umsiedlung
Manchmal muss Vernichtung sein
Sonderfall Allergie